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Die Kunst der Utopie
Eine Filmreihe des Goethe-Instituts Israel
Kuratiert von Florian Wüst

2. 25. Januar 2018
Cinemathek Jerusalem, Derech Hevron 11, Jerusalem
Van Leer Institute, Jabotinsky Street 43, Jerusalem

8. 26. Februar 2018
Cinemathek Tel Aviv, Sprinzak Street 2, Tel Aviv
Goethe-Institut Israel, Asia House, Weizmann Street 4, Tel Aviv


Hinter dem modernen Fortschritt steht der Wunsch nach einem besseren Leben für alle. In Folge der Industralisierung und den damit verbundenen Veränderungen der Arbeitswelt brachte das 20. Jahrhundert schließlich den Wettstreit zweier Gesellschaftssysteme hervor, die jeweils für sich den richtigen Weg zu mehr Freiheit und Wohlstand reklamierten. So wurde nach dem Zusammenbruch des Sozialismus vom Ende der Geschichte geredet. Angesichts der Effekte des globalen Kapitalismus, des aktuellen Anstiegs von Prekarität, Ungleichheit und Polarisierung auch in den Industrieländern sowie von Krieg als Mittel der Politik ist der Konflikt um gesellschaftliche Erneuerung längst zurück gekehrt bzw. war nie beendet. Die Utopien der Gegenwart scheinen dabei weniger auf einen weltumfassenden Umbruch, sondern vielmehr auf lokale Bewegungen und Initiativen zu zielen.

Die von Florian Wüst kuratierte Filmreihe, die die Plakatausstellung Die Kunst der Utopie des Goethe-Instituts Israel im Van Leer Institute Jerusalem begleitet, zeigt eine Auswahl von Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilmen, die die Herausforderungen eines utopischen Denkens und Handelns auf unterschiedlichen Ebenen dokumentieren. Immer wieder sind es Einzelne oder Gruppen, die den Gegebenheiten kritisch auf den Grund gehen und radikale Ideen umzusetzen versuchen: Helga Reidemeister begibt sich in Texas Kabul. Frauen gegen Krieg auf eine Reise zu vier Frauen an verschiedenen Orten der Welt, die sich gegen Krieg engagieren. David Bernets Democracy – Im Rausch der Daten verschafft Einblicke in den langwierigen Verhandlungsprozess der im Frühjahr 2016 verabschiedeten Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union. Next Stop: Utopia von Apostolos Karakasis geht es um eine von den Arbeitern besetzte und selbstverwaltete Fabrik in Thessaloniki. In Wild Plants porträtiert Nicolas Humbert Menschen, die den Komfort der Konsumgesellschaft hinter sich lassen und ein neues Verhältnis zur Natur leben. Marita Neher und Tatjana Turanskyj thematisieren in Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen das Grenzregime der europäischen Migrations- und Sicherheitspolitik. Und Christian Tods Free Lunch Society bezieht Stellung zum Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens. Das abschließende Kurzfilmprogramm White Flag, Black Square mit Filmen von Assaf Gruber, Filipa Cesar, Mischa Leinkauf, Lutz Henke und Matthias Wermke sowie Dorine van Meel stellt das Potential und die Freiheit der Kunst heraus, über das Gegebene hinauszugehen.


16. Januar 2018, 21:00; 8. Februar 2018, 18:00

Texas Kabul. Frauen gegen Krieg, Helga Reidemeister, DE 2004, 93'



Texas Kabul. Frauen gegen Krieg ist ein politisches Roadmovie. Eine Reise um den ganzen Globus, eine Sinnsuche in Zeiten des Krieges und gleichzeitig eine Reise in die eigene Vergangenheit. Das zerstörte Kabul weckt Erinnerungen an die verwüsteten deutschen Städte nach dem 2. Weltkrieg. Es ist ein Film, der in einem inneren und äußeren Ausnahmezustand entstanden ist. Helga Reidemeister besucht vier Frauen in vier verschiedenen Ländern der Welt, die in der ausgebrochenen Panik nach dem 11. September 2001 mit Besonnenheit handeln. In New Delhi trifft sie die 43-jährige Arundhati Roy, die nach dem Welterfolg ihres Romanes Der Gott der kleinen Dinge aufhörte, Literatur zu schreiben, um sich gegen Krieg und Globalisierung einzusetzen. In Belgrad spricht sie mit einer alten Freundin, der 50-jährigen Stascha Zajovic, die während der Milosevic-Diktatur die Gruppe „Frauen in Schwarz“ gegründet hatte. Die nächste Station ist Kabul, wo die 45-jährige Jamila Mujahed, Herausgeberin von Malalai, der einzigen Frauenzeitschrift in Afghanistan, über den alltäglichen Horror berichtet. Die US-Amerikanerin Sissy Farenthold ist die Gesprächspartnerin in Houston, Texas, der letzten Station der Reise. Farenthold ist eine 76-jährige ehemalige Jura-Professorin und Politikerin, die ihre Karriere nach dem Vietnamkrieg aufgab und sich seitdem für Menschenrechte engagiert. Der Film, der aus Unruhe entstanden ist, provoziert Unruhe und fordert zum Handeln auf. Vom Prinzip Hoffnung in kriegerischen Zeiten.


2. Januar 2018, 19:15

Democracy – Im Rausch der Daten, David Bernet, DE 2015, 100'

Schauen uns die Nachbarn in die Wohnung, lassen wir fix die Jalousien herunter. Im World Wide Web geben wir dagegen alles von uns preis. Big Data – das ist mehr als Name, Geburtsdatum und Wohnort. In der digitalen Gesellschaft werden wir zu gläsernen Menschen: Mit jedem Klick, mit jedem Telefonat, mit jedem im Internet bestellten Buch, jeder Kartenzahlung oder jedem Videoload werden Menschen transparent und hinterlassen digitale Fingerabdrücke. Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen ist klar, dass sich die Welt im Datenrausch befindet und die persönlichsten Informationen von uns allen zur Ressource geworden sind: Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts! Doch wer kontrolliert den Zugriff auf die private Daten? In Democracy – Im Rausch der Daten öffnet David Bernet die Türen zu einer schier undurchdringlichen Welt. Zum ersten Mal konnte ein Filmteam so tief in das Innere der Europäischen Union vordringen und die Entstehung eines Gesetzes filmisch dokumentieren. Bernet begleitet die konservative EU-Kommissarin Viviane Reding und den jungen ambitionierten Grünen-Abgeordneten Jan Philipp Albrecht bei ihrem Kampf um ein europäisches Datenschutzgesetz – ein Gesetz, das jede Form von Datentransfer schützen soll. Lobbyisten, Juristen und Aktivisten treten auf den Plan und versuchen Einfluss zu nehmen. Ein Ringen beginnt wie bei David gegen Goliath: Bürgerrechte versus Wirtschaftsinteressen.


8. Januar 2018, 20:45; 1. Februar 2018, 21:15

Next Stop: Utopia, Apostolos Karakasis, GR 2015, 91'



Nachdem der in Thessaloniki ansässige Baumaterialienhersteller Vio.Me über viele Monate keine Löhne ausgezahlt und schließlich Konkurs angemeldet hatte, besetzte im Februar 2013 knapp die Hälfte der Arbeiter den Betrieb unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit. Sie stellten die Produktion auf ökologische Reinigungsmittel um und führen diese seither in Selbstverwaltung und als Modell eines solidarischen Wirtschaftens fort. Next Stop: Utopia zeigt den außergewöhnlichen Kampf der Vio.Me-Arbeiter gegen alle inneren und äußeren Widerstände inmitten der griechischen Wirtschaftskrise. „Der Fall an sich ist extrem: Arbeiter ohne Erfahrungen außerhalb des Produktionsablaufs, durch Verzweiflung getrieben, entscheiden sich zu einer kleinen Revolution, um ihre Leben zurückzugewinnen. Sie wollen eine Insel der Utopie im Kapitalismus schaffen und natürlich treffen sie auf allen Ebenen auf Hindernisse. Sie wenden sich gegen die Gesetze, die Gerichte und die Ex-Eigentümer der Fabrik, während sie um einen gewissen legalen Status kämpfen. Es gibt auch Konflikte innerhalb der Gruppe; das Praktizieren direkter Demokratie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Haltungen, Ideen und Überzeugungen kann sehr schwierig sein. Aber was sich als am Schwierigsten herausstellt, sind die inneren Konflikte eines jeden Einzelnen, wenn es darum geht, sich persönlich zu verändern und mit über 50 eine neue Identität zu entwickeln.“ (Apostolos Karakasis)


9. Januar 2018, 20:30; 13. Februar 2018, 17:00

Wild Plants, Nicolas Humbert, DE/CH 2016, 108'



„Wild Plants“ sind Gewächse, die sich auf brachem Land ansiedeln, scheinbar unbewohnbares Terrain in Besitz nehmen und neue Lebensräume schaffen. „Wild Plants“ sind aber auch Menschen, die ihre eigenen Utopien entwerfen und zu Impulsgebern für andere werden. An vielen verstreuten Orten der Welt gibt es Projekte, in denen sich botanischer und biografischer Wildwuchs miteinander verbindet. Begleitet von Fragen über das Verhältnis von Mensch und Natur unternimmt Nicolas Humbert eine filmische Forschungsreise, die ihn zu vier solcher Projekte führt: zu den „Urban Gardeners“ im zusammengebrochenen Detroit, zum indianischen Philosophen Milo Yellow Hair in der Pine Ridge Reservation im US-Bundesstaat South Dakota, zu Maurice Maggi, der seit vielen Jahren die Stadt Zürich mit seinen wilden Pflanzungen verändert, und zu der innovativen Landbau-Kooperative „Les Jardins de Cocagne“ in Genf. Durch eine vielschichtige Erzählstruktur zeichnet Wild Plants Porträts von Menschen, die dem Komfort der Konsumgesellschaft den Rücken kehren und sich der Erde zuwenden, um neue Formen des Daseins zu entwickeln. Eine Rückkehr zum Wesentlichen, zu den sogenannten Grundbedürfnissen, um der menschlichen Arbeit einen Sinn zu geben, aber auch um Antworten auf metaphysische Fragen zu finden. Humbert erfaßt mit großem poetischem Gespür die Gesten des Alltags und trifft einen Rhythmus, der die Protagonisten des Films in ihrem Leben mit den Kreisläufen der Natur zeigt.


10. Januar 2018, 18:00; 19. Februar 2018, 19:00

Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen, Marita Neher, Tatjana Turanskyj, DE/GR 2016, 76'

Griechenland 2014. Lena (Nina Kronjager) ist eine Journalistin in der Krise, die zunächst in Berlin zum Thema der europäischen Migrations- und Sicherheitspolitik recherchiert und sich dann auf den Weg in den Norden Griechenlands macht, nach Thrakien, dem Grenzland zwischen Bulgarien und der Türkei. Ihr Ziel: der neue Sicherheitszaun, der Griechenland von der Türkei trennt. Zufällig trifft sie Amy (Anna Schmidt), eine Aktivistin der Refugee-Welcom-Bewegung, die teils aus Langeweile, aber auch aus Neugier, Lena bei ihren Recherchen begleitet. Aus der Reibung ihrer unterschiedlichen Perspektiven entspringt eine Odyssee durch die griechische Provinz, auf der Suche nach unsichtbaren Grenzen und einer Haltung zur Gegenwart. Dabei ist der Titel des Films Programm: Nach und nach verlieren die beiden Frauen die Kohärenz in ihren jeweiligen Weltbildern. Als ihnen ein alter Mann von Flüchtlingskindern erzählt, die mehrere Tage nichts zu Essen hatten, sind sie ebenso sprach- wie hilflos. Der Film stellt den Versuch dar, diese Sprach- und Hilflosigkeit zu zeigen und ihr eine angemessene und offene Form zu geben. „Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen ist ein Hybrid, das sich aus dokumentarischen, fiktionalen sowie improvisierten Szenen zusammensetzt. Die Übergänge sind nicht immer eindeutig zu erkennen. Der Film ist eine Gemeinschaftsarbeit, ein Experiment, eine Untersuchung – ein Essayfilm, getarnt als Roadmovie.“ (Marita Neher & Tatjana Turanskyj)


3. Januar 2018, 21:00; 23. Februar 2018, 14:30

Free Lunch Society, Christian Tod, AT/DE 2017, 95'



Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet Geld für alle – als Menschenrecht ohne Gegenleistung. Visionäres Reformprojekt, neoliberale Axt an den Wurzeln des Sozialstaates oder sozialromantische linke Utopie? Je nach Art und Umfang zeigt das Grundeinkommen sehr verschiedene ideologische Gesichter. Entscheidend ist das eigene Menschenbild, welche Seite der Medaille man sieht: Inaktivität als süßes Gift, das die Menschen zur Faulheit verführt, oder Freiheit von materiellen Zwängen als Chance für sich selbst und für die Gemeinschaft. Brauchen wir tatsächlich die Peitsche der Existenzangst, um nicht träge vor dem Fernseher zu verkommen? Oder gibt nicht deshalb die Erwerbsarbeit unserem Leben Sinn und sozialen Halt, weil wir es seit Jahrhunderten nicht anders kennen? Und weil wir nie gemeinsam die Freiheit hatten, uns anders zu verwirklichen? Unbestritten ist das Grundeinkommen eine kraftvolle Idee: Land, Wasser und Luft sind Geschenke der Natur. Sie unterscheiden sich von Privatbesitz, den einzelne Menschen erwirtschaften. Wenn wir aber Reichtum aus der Natur, aus den Gemeinressourcen schöpfen, gehört dieser Reichtum in gleichem Maße uns allen. Von Alaskas Ölfeldern über die kanadische Prärie, zu Washingtons Denkfabriken und zur namibischen Steppe nimmt uns Free Lunch Society – Komm Komm Grundeinkommen mit auf eine große Reise, und zeigt uns, was das führerlose Auto mit den Ideen eines deutschen Milliardärs und einer Schweizer Volksinitiative zu tun hat.


25. Januar 2018, 19:00; 26. Februar 2018, 19:30

White Flag, Black Square


Transmission from the Liberated Zones
, Filipa César, 2015

Die Kunst kann und muss über das Gegebene hinausdenken, soll sie der Gesellschaft ermöglichen, sich ihrer selbst bewusst zu werden. Ob radikal subjektiv, nach Verborgenem forschend oder visionär in die Zukunft schauend: Kunst macht über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg Zusammenhänge sichtbar, die oft nicht vorstellbar erscheinen. Diese Macht und Freiheit der Kunst reflektiert das Kurzfilmprogramm White Flag, Black Square, dessen Filme mit Mitteln der Fiktion, des Essays und der Intervention im öffentlichen Raum die politische Auseinandersetzung in einer Welt vermehrter innerer und äußerer Kriege suchen.

The Right
, Assaf Gruber, DE 2015, 12'
Transmission from the Liberated Zones
, Filipa César, DE/SE/PT/FR 2015, 30'
Symbolic Threats
, Mischa Leinkauf, Lutz Henke, Matthias Wermke, DE 2015, 15'
Disobedient Children
, Dorine van Meel, DE 2016, 17'