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Leben im Quadrat
Eine Filmreihe kuratiert von Florian Wüst

17. August – 30. November 2021
studio im HOCHHAUS, Zingster Str. 25, 13051 Berlin


Die Wohnungsfrage ist so alt wie allgegenwärtig. Denn Wohnen ist existenziell. Dieser Tatsache steht der durch das Recht auf Eigentum geschützte Warencharakter des Wohnens gegenüber: Immobilien nicht als Dach über dem Kopf, sondern als Kapitalanlage. Zur Frage, wem die Stadt gehört und wer sie sich noch leisten kann, kommt die Frage nach zukünftigen Wohnformen. Denn auch die bauliche Organisation des städtischen Raumes bis hin zu den Wohnungsgrundrissen – ob der Neubau der 1970er Jahre, kollektive Wohnprojekte oder das Loft Living von heute – beschreibt die Verfasstheit sozialen Zusammenlebens.

Mit einem Blick bis weit über Berlin hinaus reflektiert die Filmreihe Leben im Quadrat das Thema Wohnen im Spannungsfeld von Politik, Ökonomie und Arbeitswelt. Die Auswahl an historischen wie zeitgenössischen Spiel- und Dokumentarfilmen verbindet die stadt- und wohnungspolitische Auseinandersetzung mit persönlichen Lebens-geschichten, die sich an den Rändern gesellschaftlich sanktionierter Normalität und Sichtbarkeit bewegen.


17. August 2021, 19:00

Das Fahrrad, Evelyn Schmidt, DDR 1982, 89'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Evelyn Schmidt


© Deutsche Kinemathek

Susanne, ungelernte Arbeiterin, allein mit einer Tochter, schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Sie gibt ihren Job an der Stanzmaschine auf, gerät in finanzielle Schwierigkeiten und meldet ihr Fahrrad als gestohlen, um die Versicherungssumme zu kassieren. Ihre Begegnung mit dem erfolgreichen Ingenieur Thomas offenbart die sozialen Unterschiede in der nach offizieller Auffassung klassenlosen Gesellschaft der DDR. Das Porträt einer starken, doch in ihrem Selbstwertgefühl verletzten Frau, die so gar nicht dem sozialistischen Frauenbild entsprach, beeintächtigte Evelyn Schmidts Karriere als DEFA-Spielfilmregisseurin: Zu kritisch geht sie in Das Fahrrad mit dem Alltag, den Arbeits- und Geisteshaltungen in der DDR um.


31. August 2021, 19:00

PUSH – Für das Grundrecht auf Wohnen, Fredrik Gertten, SE 2019, 90'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Naomi Hennig

Vermieter*innen ohne Gesichter, Wohnungen ohne Mieter*innen. PUSH folgt Leilani Farha, der UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen, wie sie die Welt bereist, um herauszufinden, wer im Zuge der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes aus der Stadt gepusht wird und warum. „Ich glaube es gibt einen riesen Unterschied zwischen Wohnen als Handelsware und Gold als Handelsware. Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon“, sagt Farha. Ihre Recherchen führen sie u.a. in eine Sozialbausiedlung im schwedischen Uppsala, wo auf einen Schlag mehrere Tausend Wohnungen den Besitzer wechseln, in das hippe Londoner Viertel Notting Hill, nach New York, Valparaíso und Berlin. Zu Wort kommen neben betroffenen Bewohner*innen die Soziologin Saskia Sassen, der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Joseph Stiglitz sowie der Journalist und Mafia-Experte Roberto Saviano.


21. September 2021, 19:00

Ich denke oft an Hawaii, Elfi Mikesch, BRD 1978, 85'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Elfi Mikesch


© Deutsche Kinemathek

„Ein Film für jedes Wohnzimmer“ sollte Ich denke oft an Hawaii sein, in dem die Phantasien und Dinge des Alltags ihren besonderen Stellenwert haben. Erzählt wird die Geschichte der 16-jährigen Carmen, die mit ihrer Mutter Ruth und Bruder Tito an der Westberliner Peripherie lebt. Die Mutter arbeitete jahrelang in einer Knopffabrik am Fließband und verdient nun als Putzfrau den Lebensunterhalt für die Familie. Der Vater der Kinder, ein puerto-ricanischer Berufssoldat, verließ sie nach Carmens Geburt. Außer einigen Postkarten und Hawaii-Musik-Platten ließ er nichts zurück. Tochter Carmen will Tänzerin werden, sie träumt von einem warmen Land mit Sonne. Tito hingegen ist ein stiller Junge, der gerne Geige spielt.


5. Oktober 2021, 19:00

Der Stoff, aus dem Träume sind, Lotte Schreiber, Michael Rieper, AT 2019, 75'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Lotte Schreiber


© sixpackfilm

Was bewegt Menschen dazu, sich das Wohnen selbst zu organisieren? Wie finanzieren sie sich und wie funktioniert das Leben in der Gemeinschaft? Anhand von sechs selbstverwalteten Wohnbauten in Österreich aus 40 Jahren – von den Pionier*innen des kooperativen Wohnens in Graz-Raaba über die Ökosiedlung Gärtnerhof bis zum Wohnprojekt Wien und dem Mietshäuser Syndikat-Projekt Willy*Fred in Linz – macht sich Der Stoff, aus dem Träume sind auf die Suche nach Antworten. Lotte Schreiber und Michael Rieper beleuchten nicht nur die sozialen und sozialökonomischen Ansprüche der Akteur*innen sowie deren gesellschaftspolitische Bedeutung, sondern geben ebenso Einblick in die alltäglichen, kleinen wie großen Errungenschaften, Diskussionen und Konflikte, die das Leben im Kollektiv mit sich bringt.


26. Oktober 2021, 19:00

Rift Finfinnee, Daniel Kötter, ET/DE 2020, 79'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Nafiseh Fathollahzadeh und Daniel Kötter



Daniel Kötters neuer Film Rift Finfinnee schickt die Betrachter*innen in streng komponierten Landschaftbildern und einer die Originaltöne komplex verwebenden Tonspur auf eine Reise durch die östliche Peripherie der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba (in Oromo: Finfinnee). Entlang der Schlucht des Akaki-Flusses seziert Kötter am Beispiel von vier extrem unterschiedlichen, obwohl in Sichtweite voneinander liegenden Siedlungen den mehr als nur symbolischen Riss zwischen Stadt und Land. Er nimmt dabei die konkrete Geografie, die Architektur sowie das Alltagsleben von Land- und Bauarbeiter*innen zum Ausgangspunkt einer Erzählung über das rasante Stadtwerden einer afrikanischen Gesellschaft am Rande des Bürgerkriegs.


9. November 2021, 19:00

Verdrängung hat viele Gesichter, Filmkollektiv Schwarzer Hahn, DE 2014, 94'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Samira Fansa

Berlin. Alt-Treptow. Ein kleiner Kiez zwischen Ost und West. Verwilderte Brachen am ehemaligen Mauerstreifen. Motorsägen und Baukräne. Neubauten, Eigentumswohnungen und steigende Mieten. Versteckte Armut, Altmieter*innen, zugezogene Mittelschicht, Architekt*innen, Baugruppen. Auf engstem Raum wird ein Kampf ausgetragen. Von Gesicht zu Gesicht. Ohne Blatt vor dem Mund. Ängste artikulieren sich. Auf allen Seiten. Wut verschafft sich Ausdruck. Ein Kampf um Millimeter. Um den Kiez. Um Würde. Und um das eigene Leben. Verdrängung hat viele Gesichter dokumentiert über den Zeitraum von fünf Jahren die Widersprüche einer neoliberalen Stadt- und Wohnungspolitik, in der nicht nur große Investor*innen und Spekulant*innen vom Prozess der Gentrifizierung profitieren.


30. November 2021, 19:00

Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit, Yulia Lokshina, DE 2020, 92'
Anschließendes Publikumsgespräch mit Yulia Lokshina


© Katholisches Filmwerk

In der westfälischen Provinz leben und arbeiten osteuropäische Leiharbeiter*innen in der Fleischindustrie unter menschenunwürdigen Bedingungen, Aktivist*innen, die sich für ihre Rechte einsetzen, kämpfen mit den Behörden. Zur gleichen Zeit proben Münchener Gymnasiast*innen das Bertolt-Brecht-Stück Die heilige Johanna der Schlachthöfe, das sich schon 1931 mit Marktmacht, Monopolisierung und der Ausbeutung von Arbeiter*innen beschäftigte, und sprechen über die globalen Wirtschaftsstrukturen und ihr Verhältnis dazu. Yulia Lokshinas Film verwebt diese beiden Erzählstränge zu einer eindrucksvollen Reflektion über die unsichtbaren Facetten von Leiharbeit und Arbeitsmigration sowie die Entstehung und Aufrechterhaltung von „Parallelgesellschaften“ in Deutschland.