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Werkleitz Festival 2016: Trans-Positionen
Filmprogramm
Kuratiert von Florian Wüst

13./14. Oktober 2016
Zazie Kino & Bar, Kleine Ulrichstr. 22, 06108 Halle (Saale)

werkleitz.de




Kunst und Technik bedingen sich, und doch werden sie nicht selten als Gegensatz verstanden. Auf der einen Seite Mensch, auf der anderen Maschine. Den die Funktionalität unterlaufenden Umgang mit Apparaten, Geräten und Instrumenten kennt man als künstlerisches Mittel. Ohne genaue technische Kenntnisse aber könnten Piratenradios nicht ihre Sender selbst bauen und ihre politisch und kulturell subversiven Inhalte verbreiten. In der Geschichte der elektronischen Musik wiederum kam es zu enger Zusammenarbeit und gegenseitiger Inspiration von Komponisten, Ingenieuren und Wissenschaftlern. Die alte Frage nach der Unumkehrbarkeit der tradierten Rollen des Künstlers und des Technikers, des Senders und des Empfängers, des Produzenten und des Konsumenten stellt sich gerade im Zeitalter des Internets immer wieder neu. Das vierteilige Filmprogramm von Trans-Positionen untersucht dieses reziproke Verhältnis von Kunst und Technik, Gegenkultur und Massenkultur im besonderen Blick auf die elektronischen und digitalen Medien. Neben dem Rekurs auf Radio und Fernsehen erweitert die internationale Auswahl historischer und zeitgenössischer Filme den thematischen Fokus auf außergewöhnliche Formen des Sprechens sowie die Repräsentation gesellschaftlicher Krisen und politischer Umbrüche. Zudem experimentiert das Filmprogramm mit der eigenen Form: Durch die Kombination von Werbe-, Dokumentar- und Experimentalfilmen und Musikstücken sowie die performative, mit Filmen gemischte Aufführung eines Radioessays wird das Kino zu einem Erfahrungsraum auch des reinen Hörens.


13. Oktober 2016, 19:00

Farbige Klänge


Das schönste Fenster der Welt, Herbert Viktor, 1968

„Jedes Zeitalter hat seine charakteristische Musik hervorgebracht, geformt aus denselben Kräften, die dieses Zeitalter geformt haben. In unserem technischen Zeitalter sieht sich die Musik als Kunstform in einem bisher nicht bekannten Ausmaß mit den Kräften der Technik konfrontiert“, steht in einem Siemens-Rundschreiben von 1963. Die Antwort hierauf sei die Synthese von Musik und Technik: die elektronische Musik. Um die Automation der Klangerzeugung zu fördern und weiterzuentwickeln, hatte Siemens ein firmeneigenes Studio unter der Leitung des Tontechnikers Alexander Schaaf und des Komponisten Josef Anton Riedl eingerichtet und drei Jahre lang selbst betrieben. Das Siemens-Studio für elektronische Musik steht stellvertretend für die damalige Offenheit großer Unternehmen gegenüber künstlerischen Experimenten, was sich auch in der Produktion von aufwendigen Industrie- und Imagefilmen zeigte. Ergänzt von Riedls Studien für elektronische Klänge, durchmisst das Filmprogramm die Kommunikationstechnologien des 20. Jahrhunderts: vom Kurzwellenradio über das Farbfernsehen bis zum Mobiltelefon. Werbe- und Informationsfilme von Philips, Siemens und AEG-Telefunken, Oskar Fischingers Radio Dynamics sowie ein Video von Bas van Koolwijk und Gert-Jan Prins, dessen visuelle Modulationen einem Audiomixer entstammen, werden Filmen von Mauricio Kagel, Christoph Doering und Michel Klöfkorn gegenübergestellt, die einen so kritischen wie ironischen Blick auf den drohenden Realitätsverlust durch die Allanwesenheit beliebig reproduzierbarer Bilder und Daten werfen.

Europa Radio, Hans Richter, NL 1931, 9'
Radio Dynamics, Oskar Fischinger, US 1942, 4'
Farbige Klänge, Hans Fischerkoesen, BRD 1953, 2'
Studie für elektronische Klänge I, Josef Anton Riedl, 1959/62, 3'
Das schönste Fenster der Welt, Herbert Viktor, BRD 1968, 10'
Antithese, Mauricio Kagel, BRD 1965, 19'
Synchronator, Bas van Koolwijk, Gert-Jan Prins, NL 2006, 6'
Krause – oder ein beschriebener Film ist halt wie ein erzähltes Mittagessen, Christoph Doering, BRD 1988, 12'
Studie für elektronische Klänge IV, Josef Anton Riedl, 1959/62, 5'
geht's noch, Michel Klöfkorn, DE 2005, 5'

Anschließendes Publikumsgespräch mit Christoph Doering.


13. Oktober 2016, 21:00

Welt des Sprechens


Not I, Samuel Beckett, 1977

Anders als die fünf Sinne, die uns Eindrücke der Welt verschaffen, gibt uns die Stimme Ausdruck, durch Sprache mit Sinn erfüllt. Doch was an Geräuschen hervorgebracht, was gemurmelt, gesagt, gesungen, gerufen wird, ist so unmittelbar wie flüchtig. Schall vergeht in der Luft. Erst die elektronischen Medien verhalfen der menschlichen Kommunikation zur Aufzeichnung, Speicherung, Veränderung, Wiedergabe und Verbreitung über weite Distanzen, verwandeln die Stimme in einen Gegenstand der Erinnerung. Die technische Reproduktion vollzieht dabei nach, was die Stimme von vornherein zu sein scheint: eine Entität außerhalb des Körpers. Die vier Filme in Welt des Sprechens thematisieren das Verhältnis von Sehen und Hören und erkunden Bereiche der Kommunikation, die sich rationaler Deutung und sozialer Normierung entziehen – von der mysteriösen und verletzlichen Welt der Kindheit in Gunvor Nelsons My Name is Oona und Johan van der Keukens Blind Kind über Not I von Samuel Beckett, der in seinen absurden Theater- und Fernsehstücken immer wieder die Sinnlosigkeit der Welt und die Fragwürdigkeit der Sprache dramatisierte, bis zu Miriam Bajtalas neuem Film Sofern real über die Porträtierung psychisch kranker Menschen durch Schauspielerinnen.

Not I, Samuel Beckett, UK 1977, 13'
Blind Kind, Johan van der Keuken, NL 1964, 25'
My Name is Oona, Gunvor Nelson, US 1969, 10'
Sofern real, Miriam Bajtala, AT 2015, 30'

Anschließendes Publikumsgespräch mit Miriam Bajtala.


14. Oktober 2016, 19:00

Von der Schönheit der Radiowellen



Als Walter Klingenbeck 1943 in München-Stadelheim wegen Hochverrats hingerichtet wurde, starb einer der ersten Radioaktivisten Deutschlands. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten illegale Radiosender zur Medienkultur der DDR wie der Bundesrepublik. Heute begeistern die Kenner der Radio- und Popgeschichte eher Piratensender, die aus internationalen Gewässern agierten, um so Lizenzen und Steuern zu sparen. Sie umgaben die seinerzeit aufstrebende Musikindustrie mit dem nötigen Radical Chic ihrer DJs. Vergessen ist, dass viele politische Radioaktivisten Techniker oder Ingenieure waren, deren Sender oft nicht recht funktionierten. Oder sie erreichten praktisch keine Hörerschaft. Woher nahmen sie ihre Motivation, und woher kommt der Glaube, ohne Zielgruppe die Welt zu verändern? Skizzierten die frühen Radioaktivisten mit ihrem Engagement ein Phänomen, das auch heute die digitale Welt des Internets durchzieht: Die Überzeugung, Freiheit durch Technik zu erreichen? Das Radioessay Von der Schönheit der Radiowellen: Über Radioaktivisten und ihren Anspruch auf den Äther, eine Sendung des Nachtstudios des Bayerischen Rundfunks vom November 2013 (Autor und Regisseur: Ralf Homann, Redaktion: Barbara Schäfer, Toningenieurin: Siglinde Hermann), wird von Homann erstmals in einem Kino und unter Hinzunahme von Ausschnitten aus der Filmkomödie Piratensender Powerplay mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk von 1982 oder Krsto Papics Dokumentarfilm Nek se cuje i nas glas (Lasst auch unsere Stimmen hören) von 1971 präsentiert und aufgeführt.

Von der Schönheit der Radiowellen: Über Radioaktivisten und ihren Anspruch auf den Äther, Ralf Homann, 2013/16, 53'

Anschließendes Publikumsgespräch mit Ralf Homann.


14. Oktober 2016, 21:00

Time Travel


Soundtrack, Guy Ben-Ner, 2013

Richtet man eine Videokamera auf einen Monitor, der das aufgenommene Bild simultan wiedergibt, entsteht ein optischer Rückkopplungseffekt: Das sich selbst filmende Bild setzt sich ins Unendliche fort, ähnlich dem sich aufschaukelnden Ton eines Mikrofons, das man zu nah an den Lautsprecher hält. Dieser Effekt dient in Filipa Césars Transmission from the Liberated Zones weniger als ästhetisches Mittel, sondern vielmehr als visuelles Zeichen des Versuchs, Überlagerungen zwischen Geschichte und Gegenwart, medialen Bildern und subjektiven Erzählungen herzustellen, die angesichts immer neuer Kriege und Flüchtlingskrisen um eines kreisen: den Kampf um ein Leben in Freiheit. Auch in den Filmen von Guy Ben-Ner, Erik Bünger und Clemens von Wedemeyer bilden Rückkopplungen, Reinszenierungen und Vervielfältigungen die Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung mit sozialen Konflikten und kulturellen Praxen, in denen sich die Produktionsbedingungen der Filmindustrie spiegeln. Mit dem Fokus auf Ton und Sprache, Monolog und Übersetzung im Film knüpft das vierte und abschließende Filmprogramm an das Radio-Thema des Festivals an.

Soundtrack, Guy Ben-Ner, IL 2013, 11'
The Allens, Erik Bünger, SE 2004, 2'
The Cast (Procession), Clemens von Wedemeyer, IT 2013, 15'
Transmission from the Liberated Zones, Filipa César, DE/SE/PT/FR 2015, 30'

Anschließendes Publikumsgespräch mit Filipa César.